VorOrt Nr.13, August 2000
(Auflage 12 000)

Zeitung für Lob und Kniefall

 

Vaihingen preist den großmütigsten seiner Söhne
Danke, Herr Senator, und nochmals vielen, vielen Dank

Wer hat jemals soviel für Vaihingen getan, wie ER nun zu tun beabsichtigt? Senator Rudi Häussler stellt in vorbildlicher Weise allen Eigennutz und Profitstreben hintan und engagiert sich für – im wahrsten Sinne des Wortes – seinen Stadtteil in einer Weise wie es noch nie in der 900-jährigen Geschichte des Ortes jemand vor ihm getan hat.

Es ist ermutigend, daß es in der heutigen Zeit, in der allenthalben nur Gewinnstreben zählt, noch Menschen wie ihn gibt.

Da erfüllt sich der Mann einen Lebenstraum und kauft den halben Ort, in dem ER wohnt. Hätte es ihm irgend jemand übel genommen, wenn ER dann gesagt hätte: „alles meins und damit mache ich jetzt, was ich will und vor allem eine schöne Stange Geld"? Doch nicht so der Senator Häussler. ER wartete schon mit dem Kauf bis eine Bürgerinitiative ermittelt hatte, wie sich die Insassen Vaihingens ihre neue Ortsmitte vorstellen. Bessere Einkaufsmöglichkeiten wollten die, Kultur- und Bildungseinrichtungen, gemischt mit Wohnungen und öffentlichen Plätzen. Insgesamt eine lockere Bebauung in einer verkehrsberuhigten Ortsmitte. Und weil sie befürchten mußten, daß dies alles von einem privaten Investor, dem es vor allem um Geldvermehrung geht, so nicht realisiert werden würde, verlangten sie von der Stadt, daß diese selbst das Gelände erwerben und vermarkten oder zumindest entsprechende baurechtliche Vorgaben machen solle. Aber da hatten sie noch nicht an Rudi Häussler gedacht.

Der schritt nun zum Kauf des Geländes und lies sich auch gleich vertraglich zusichern, daß er vom Kauf wieder zurücktreten kann, wenn er nicht so bauen darf, wie er vorhatte.

Fast ein Jahr lang hielt er seine Planungsvorbereitungen vor allen geheim und böse Zungen unkten bereits, so habe man sich die versprochene Bürgerbeteiligung aber nicht vorgestellt. Doch das Ganze sollte eine Überraschung werden.

Kurz vor der Sommerpause diesen Jahres war es dann soweit. Die nunmehr vorgestellten Absichten des „Gönners" (Bezirksvorsteher Bu) übertrafen alles, was sich die Vaihinger hatten träumen lassen. Statt eintönigem Wohnungsbau präsentierte ER hochmoderne Bürogebäude und das gleich in einem Ausmaß, das schon allein die bescheidenen Vorstellungen der Vaihinger für die Gesamtbebauung übertraf. Einkaufsmeilen und ein wenig Gastronomie, sowie einen Bürgersaal gleich noch dazu. Und das alles in einer Baudichte, dass einem Hören und Sehen vergehen konnte.

Die Vaihinger rieben sich verdutzt die Augen und unbeweglich wie der gemeine Schwabe nun einmal ist, sagten einige, „das ist aber überhaupt nicht das, was wir uns vorgestellt und was auch die Stadtplaner für sinnvoll gehalten haben".

Doch schnell begriffen sie, daß das, was ER ihnen hier vorstellte, viel mehr war, als sie zu wünschen gewagt hatten. Am schnellsten begriffen es die Gemeinderatsfraktionen von SPD und Grünen. Lediglich eine knappe Woche benötigten sie, um von kleinlichen Kriteleien von wegen „überzogene Baumassen und fehlender Wohnungsbau" zu freudiger Zustimmung umzuschwenken.

Und bald wußten alle, daß die Zukunft dem Bürobau gehört und man davon in Vaihingen zwar schon eine ganze Menge hat, aber nie genug haben kann. Daß öffentliche Plätze und großzügige Freiflächen nicht in den Ortskern gehören und daß nur zusätzlicher Autoverkehr wirkliches Leben in die Ortsmitte bringt.

Nur beim Initiativkreis Schwabenbräuareal dauerte es etwas länger, bis auch dort verstanden wurde, daß hier ein Mann am Werke ist, der nur das Beste für Vaihingen im Sinn hat. Der Gönner war schon fast etwas böse geworden, weil der Initiativkreis immer noch an den alten Vorstellungen der Vaihinger festhielt, und ER wollte mit dessen Vorsitzenden gleich gar nicht mehr reden wegen dessen Undankbarkeit. Da erschracken die tapferen Streiter für ein attraktiveres Vaihingen dann doch und der Sozialdemokrat in ihnen drängte zum Einlenken.

Und als Rudi Häussler bei der Bewertung seiner Architektenentwürfe auch noch die Bürgerschaft beteiligte – die ausgewählten Bürgervertreter, zu denen so namhafte Persönlichkeiten wie Hubert Steimle und die Vorsitzende des Bürgervereins, Jutta Reinhardt, zählten, durften zwar nicht mitentscheiden, aber dabei sein und bekamen dafür ein paar tausend Mark, damit sie sahen, daß sie wichtig sind -, da wollten die ISA-Streiter auch nicht mehr einsam, von all ihren Parteifreunden bei SPD und Grünen verlassen, beseite stehen und entschlossen sich ebenfalls zur „konstruktiven Mitarbeit".

„Noch nie ist in Stuttgart eine derart breite Bürgerbeteiligung praktiziert worden" hatte sogar der Baubürgermeister Hahn (SPD) verkündet - wer wollte da noch von der Durchsetzung reiner Kapitalinteressen gegen das Wohl der Bevölkerung sprechen. Das hiesse ja, daß Stadtverwaltung und Gemeinderat mit dem Investor unter einer Decke steckten.

Und daß die Vaihinger mit den Plänen Rudi Häussler, die ihnen einen gigantischen zusätzlichen Verkehr und noch viel schlechtere Luft bringen werden, voll und ganz einverstanden und zufrieden sind, kann von niemandem ernsthaft bezweifelt werden. Sie würden sich sonst ja dagegen wehren.


 

Franz Josef Degenhardt (1966)

Wenn der Senator erzählt

Ja, wenn der Senator erzählt. Der Senator, das ist der, dem das ganze Wackelsteiner Ländchen gehört und alles, was darauf steht.
Wie der angefangen hat: Sohn eines Tischlers, der war mit 40 schon Invalide, alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge. Mit 5 Jahren schon ist der Senator jeden Tag von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen, zwölf Kilometer hin und 12 km zurück.
Und warum? Weil in Wackelrode der Liter Milch zweieinhalb Pfennig gekostet hat, in Hohentalholzheim aber nur zwei Pfennig, und diesen halben Pfennig, den durfte der Bub behalten. Das hat er auch getan. 10 Jahre lang ... und nach 10 Jahren, da hat sich der Senator gesagt: „So". Hat das ganze Geld genommen, ist hergegangen und hat das erste Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, ha ha, wenn der Senator erzählt.
Dann 14/18, der Krieg. Und hinterher, da hat sich der Senator gesagt, „so der Krieg ist verloren, was ist dabei rausgekommen? Gar nichts."
Und dann hat er sein Geld genommen und hat Grundstücke gekauft. Hier eins und da eins. Und dann kam die Arbeitslosigkeit, und dann Adolf.
Ja, und 34, da gehörte ihm praktisch schon das ganze Wackelsteiner Ländchen.
Und dann hat er noch ein Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt. Das waren dann schon zwei, das alte Wackelsteiner Hüttenwerk und das neue Wackelsteiner Hüttenwerk. Und mitten im Krieg, in schwerer Zeit, hat er noch ein Hüttewerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, wenn der Senator erzählt.Und dann 45, ausgebombt, demontiert. Da hat sich der Senator gesagt: „So, der Krieg ist verloren. Was ist dabei rausgekommen? Gar nichts."
Und er war froh, daß er wenigstens noch das Wackelsteiner Ländchen hatte und seine treuen Bauern; hier einen Schinken, da einen Liter Milch. Und so konnte man ganz allmählich wieder anfangen.
Aber dann 48, Währungsreform. Da stand der Senator, wie jeder von uns da, mit vierzig Mark auf der Hand.
Und was hat er damit gemacht? Etwa ein viertes Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt?
Nein. Die hat er auf den Kopf gehauen in einer Nacht. Und als er dann morgens auf der Straße stand, neblig war's und kalt, da mußte der Senator plötzlich so richtig lachen. Er hatte eine gute Idee: „Wie wäre es", sagte sich der Senator, „wenn man aus dem Wackelsteiner Ländchen ein Ferienparadies machen würde?"
Gesagt, getan. Verkehrsminister angerufen – alter Kumpel aus schwerer Zeit. Ja, und so ist aus dem Wackelsteiner Ländchen, das Wackelsteiner Ländchen geworden, wie es heute ein jeder kennt.
Und dann hat der Senator noch ein Hüttenwerk auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, wenn der Senator erzählt. Aber dann wird er traurig, der Senator. „Und wissen Sie was", sagt er dann, „die waren damals doch glücklicher, die Leute. Wie ich angefangen habe:
Sohn eines Tischlers, der war mit 40 schon Invalide: alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge ...

Ja, ha, ha, wenn der Senator erzählt.


 

Ich will ein guter Bürger werden
von Gerhard Wick
(geklaut bei F. Freiligrath (1848/49)

Oh hab ich's doch nach all den Jahren zu diesem Posten noch gebracht und leider allzu oft erfahren, wer hier im Land das Wetter macht. Du sollst, verdammte Freiheit, mir die Ruhe fürder nicht gefährden. Lisette, noch ein Gläschen Bier! Ich will ein guter Bürger werden.Ob CDU, ob SPD – wie sich die Leute toll gebärden. Zum Teufel mit der Politik, ich will ein guter Bürger werden.Gewiß, man tobt sich einmal aus – es wär' ja um die Jugend schade. Doch führt man erst ein eigen Haus, dann werden fünfe plötzlich grade.In welcher Mühle man uns mahlt, das macht mir nimmermehr Beschwerden. Der ist mein Herr, der mich bezahlt. Ich will wie Willy Helmut Stengel werden.

Jedwedem Umtrieb bleib' ich ferne, andere mögen 's Volk beglücken. Der Orden ist ein eigner Stern: wer einen hat, der soll sich bücken. Bück' dich, mein Herz! Bald fahren wir zur Residenz mit eignem Wagen. Lisette, noch 'n Gläschen Bier. Ich will mich niemals mehr beklagen.


 

Nachhilfe für Eichel

Im Hause Eichel hatte man wieder einmal eine gute Idee. Ein jeder weiß: Wer an seinem Arbeitsplatz einen Internet-Zugang hat, nutzt diesen hin und wieder auch privat. Dadurch entsteht ihm ein geldwerter Vorteil, der pauschal besteuert werden sollte. Weil VorOrt Leser immer bemüht sind, ihren Sachverstand in den Dienst der Bundesregierung zu stellen, hier der weitergehende Vorschlag von Steuerberater Ingo Kelm.

Warum soll es denn beim Versteuern des Internet-Zugriffs bleiben?
Das Web ist beileibe nicht die einzige Anwendung, die privat genutzt wird.
E-Mail-Nutzer sind noch viel anfälliger für Privatsachen. Auch hier bietet sich eine Lösung an: Der Mail-Server eines Unternehmens schickt gleich eine Kopie der Mail an eine Steuererfassungsstelle. Der Sachbearbeiter dort prüft den Inhalt und legt den Steuersatz fest. Gebührenpflichtig ist bereits der freundliche Gruß in der Geschäfts-Mail. In Zweifelsfällen wird der Mail-Schreiber vorgeladen und muss sein Schreiben begründen.
Und warum überhaupt soll es denn beim Versteuern der Medien-Nutzung bleiben?

Der Bürostuhl zum Beispiel wird auch nicht immer nur dienstlich genutzt.
Sobald der Arbeitnehmer seinen Kaffee oder das Mittagsmahl am Schreibtisch einnimmt, sitzt er privat. Bei einem durchschnittlichen Stuhl-Preis von 800 Mark und einer angenommenen privaten Nutzungsdauer von einer Stunde pro Tag ergäbe das einen geldwerten Vorteil von 800 Mark durch 220 Arbeitstage mit acht Stunden, also 45 Pfennige pro Tag. Legen wir einen Steuersatz von 40 Prozent zu Grunde, entgehen dem Staatssäckel 18 Pfennige pro Werktag und Bürostuhl. Bei dieser Gelegenheit könnte man auch einmal überprüfen, welche Tasten auf dem Computer-Keyboard überwiegend privat genutzt werden. Ein Smiley beispielsweise ist immer eine Gefühlsäußerung und damit privat.  Eventuell könnte hier sogar die Vergnügungssteuer ansetzen.

Nehmen wir an, 70 Prozent aller Anschläge nur der Doppelpunkt-, Strich- und Klammer-zu-Tasten seien privat. Das ergibt bei einem Tastaturpreis von, sagen wir, 40 Mark und 105 Tasten: 40 Mark geteilt durch 105 Tasten mal 3 Tasten durch 100 mal 70 = genau 80 Pfennig pro Tastatur, die an geldwertem Vorteil versteuert werden müssten. Oder habe ich mich hier verrechnet?


 

Engelszunge
Grund zur Freude
Im August 2000 sind 673 Menschen bei Verkehrsunfällen gestorben. 673 allein im August.
Ein Grund zur Freude, wie uns der Nachrichtensprecher erklärt. Weil in den vergangenen Jahren waren es mehr.


 

Schönes neues Vaihingen

Endlich haben wir wieder Grund hoffnungsvoll und freudig in die Vaihinger Zukunft zu blicken. Wird alles realisiert, was derzeit in Planung ist, wird endlich wahr, was wir schon nicht mehr zu hoffen wagten: Noch mehr Verkehr und herrlich schlechte Luft. Endlich werden nicht mehr nur Minderheiten an allen möglichen Allergien und sonstigen Krankheiten leiden. Nein, alle werden gleich sein, gleich krank. Und es wird ganz viele neue Arbeitsplätze geben.

Welch herrliche Zeiten des Aufschwungs! Nahezu jede Woche können wir die Grundsteinlegung eines neuen Bürokomplexes oder gar ganzer „Büro-Parks" feiern. Und das alles in Vaihingen. Gut, wir stehen heute schon nicht schlecht da mit knapp 40000 Einwohnern und 58000 Arbeitsplätzen. Welch anderer Ort könnte ein so prächtiges Ungleichgewicht vorweisen?

Bürokomplex Ecke Liebknechtstr. / Heßbrühlstr.

Und die meisten, die hier wohnen, arbeiten woanders und die hier arbeiten, wohnen nicht hier. Auf's feinste hat der freie Markt alles geregelt und uns damit schon heute einen ganz ordentlichen Verkehr beschert. Aber sollen wir uns wirklich mit ein paar zigtausend Verkehrsbewegungen am Tag zufrieden geben? Wozu wurde denn für 43 Millionen Mark die Ostumfahrung gebaut? Doch wohl um Platz zu schaffen für neuen Verkehr in der entlasteten Ortsmitte.

Der Grundstein ist gelegt:Bürokomplex Breitwiesenstraße

Inzwischen haben es - wie ihre sozialdemokratischen Kollegen schon längst - auch die Grünen Gemeinderäte begriffen, daß es nicht schlecht, sondern gut ist, wenn möglichst viel an Natur zerstört wird. Was hier kaputt gemacht wird, hat Folgen, die man wieder reparieren muß und schon entstehen wieder neue Arbeitsplätze.

 

 

Entwurf für Büros in der Vaihinger Ortsmitte

Deshalb muß einerseits das Gewerbegebiet mit Büropalästen verdichtet werden und gleichzeitig müssen solche aber auch überall entstehen, wo bisher noch Wiesen und Wälder sind und in der Ortsmitte natürlich sowieso. Raum für weitere 15 000 Arbeitsplätze soll so nach dem Willen der Stadt und des Gemeinderats in Vaihingen entstehen. Mag sein, daß die Rechnung nicht ganz aufgeht und ein paar tausend Quadratmeter Büroflächen leer bleiben, weil bereits in Vaihingen ansässige Firmen in die günstigen, weil städtisch subventionierten neuen Anlagen umziehen. Das macht aber nichts. Hauptsache die Hochhäuser stehen erst einmal in der Frischluftschneiße. Der zusätzliche Verkehr wird mit Sicherheit ein übriges tun, damit das Leben in Vaihingen herrlich unerträglich wird. Und es wird ein immenser neuer Bedarf an Dientleistungseinrichtungen entstehen, - vor allem an Arztpraxen -, so daß ohne weiteres auch noch die allerletzten Grünflächen überbaut werden können. Das Rosental und das Büsnauer Tal fehlen noch und auch der Dürrlewang-Wald ist bisher nur spärlich durch die Planung einer neuen Bahntrasse angetastet.

Bürostadt Unterer Grund

In und mit Vaihingen geht es ungeheuer aufwärts und wir wollen uns hier bei den Gemeinderät/innen wirklich aller Fraktionen bedanken, daß sie diese Entwicklung so einmütig gefördert haben. Bei der nächsten Wahl wird die Wahl schwer fallen: sie sind alle gleich gut.

 

Im Bau: Bürokomplex Industriestraße

Wohnen wird man in Vaihingen zwar nicht mehr wollen. Im Umland gibt es aber immer wieder sehr günstige Eigentumswohnungen und zum Arbeiten wird man allemal gern nach Vaihingen fahren. Freuen Sie sich auf die Zukunft!